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Zurueck zur Natur?

Anlass
Jean Jacques Rousseaus 300.Geburtstag

Er zählt bis heute zu den umstrittensten Denkern Europas. Vom Volk verehrt (das bei Neuerscheinungen seiner Werke Schlange stand, um ein Exemplar zu ergattern), von den Behörden zensiert, von vielen zeitgenössischen Denkern ebenso bewundert wie verachtet, führte Jean Jacques Rousseau (1712-1778) ein „wildes Leben“, das mit dem Werk, das er hervorgebracht hat - in all seinen Widersprüchen - untrennbar verbunden ist.

Jean Jacques Rousseau blickt kurz vor seinem Tod in den Garten von Ermenonville

Auch noch 300 Jahre nach seinem Geburtstag erweist sich Rousseaus Gesellschaftskritik von hoher Aktualität. Bei einer großen Gruppe von Menschen sind die Wissenschaftsgläubigkeit und der Rationalismus der späten Industriegesellschaft heftig in die Kritik geraten, und bei der Suche nach Alternativen ist immer wieder von der Natur die Rede, die Rousseau zum Ausgangspunkt seines Denkens gemacht hat. Sein Naturbegriff und sein Bild vom „Naturmenschen“ ist dabei bis heute umstritten. Schon Voltaire machte sich darüber lustig; „Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen, als Sie“, schrieb er, nachdem er den contrat social gelesen hatte, an Rousseau: „Das Lesen Ihres Buches erweckt in einem das Bedürfnis, auf allen vieren herumzulaufen. Da ich jedoch diese Beschäftigung vor einigen sechzig Jahren aufgegeben haben, fühle ich mich unglücklicherweise, nicht in der Lage, sie wieder aufzunehmen.“

Rousseau aber wollte - so seine Verteidiger - nicht „zurück zur Natur“ (wie es in einem geflügelten, ihm zugeschriebenen Zitat heißt, das jedoch in dieser Form in keiner seiner Schriften zu finden ist), sondern benutzte den imaginären „Naturzustand“ (des Menschen) nur als bewusste Utopie, die er der fortschrittsgläubigen, aber ungerechten Gesellschaft am Vorabend der französischen Revolution (1789 - 1799) entgegen hielt. Seine reformerischen Ideen konzentrieren sich darauf, Menschen zu autonomen Individuen und guten Citoyens zu erziehen. Anders als Voltaire, der in Vernunft und Ratio den Schlüssel zur Aufklärung und zur Befreiung des Menschen aus der Unmündigkeit sah, betonte Rousseau das Gefühl als wichtiges Korrektiv einer rationalen Vernunft, die - wie Horkheimer und Adorno ein Viertel Jahrtausend später in der Dialektik der Aufklärung zeigten - immer wieder in ihr Gegenteil umzuschlagen droht. Wer Natur nicht spürt, wer das Natürliche nicht fühlt, wer sich rein auf Vernunft verlässt, der macht nach Rousseau das Geschäft der Erkenntnis nur zur Hälfte. Die Utopie einer heilen Natur mit Menschen „edler Gesinnung“ hatte für ihn dabei die Funktion einer moralischen Norm, an der man sich zu orientieren hat; doch setzt Erziehung zugleich auf die Fähigkeiten des Menschen, sich zu vervollkommnen, also sich zu verändern und damit zwangsläufig vom Naturzustand zu entfernen.

Jean Jacques Rousseau als Armenier verkleidet (linkes und rechtes Bild), im Portrait und mit dem Sarkophag zu seinen Ehren in Ermenonville

Rousseaus Werke - vor allem der große Erziehungsroman Emile, der umfangreichen Briefroman Julie oder Die neue Heloise und seine staatsrechtliche Abhandlung Vom Gesellschaftsvertrag (Du contrat social) - werden daher bis heute als Quellen für verschiedene aktuelle Fragen herangezogen: Von der Pädagogik bis zur Ökologie, von Geopolitik, Pazifismus und Globalisierungskritik bis zur direkten Demokratie. Dabei wird, in einer Zeit, in der demokratische Tugenden wie Bürgersinn bedroht sind, besonders seine Fähigkeit, „nein“ zu sagen, geschätzt. Dazu war er mit einer Konsequenz in der Lage, die ihn weder das Zerbrechen von Freundschaften, noch Schmerzen oder Verfolgung fürchten ließ und ihn vielleicht auch deshalb schon zu Lebzeiten zu einem - wie wir heute sagen würden - „Star“ gemacht hat.

Rousseaus Verhältnis zur Öffentlichkeit war außergewöhnlich. Er polarisierte durch sein Auftreten (etwa wenn er sich als Armenier verkleidete oder die Kleidersitten bei Empfängen völlig missachtete) ebenso wie durch sein Schreiben, das sich - ungewöhnlich für seine Zeit - immer auch um seine eigenen Person drehte, seine Erfahrungen und seine ebenso ungewöhnlich kritische Selbstreflexion. Genau darin offenbart sich aus heutiger Sicht Rousseaus Modernität: Sein Werk wirft bereits ein deutliches Licht auf ein im 18. Jahrhundert noch recht unbekanntes Phänomen: die Freiheit des Individuums.

Es erscheint wie eine Ironie des Schicksals, dass einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Individualität sein Leben als gebrochenen Mann, vereinsamt, verzagt und paranoid beendet. Ausgerechnet mit Blick auf jenen seltsamen Park in Ermenonville, 50 Kilometer nördlich von Paris, den einer seiner größten Bewunderer, der Marquis René Louis de Girardin, ganz nach den Vorstellungen seines Idols errichten ließ: als künstliche Wildnis, als simulierte Ursprünglichkeit, die es dem Besucher ermöglichen soll, durch die Erfahrung der äußeren Natur seinen inneren Naturzustand wiederzuerkennen.

Heute trägt der 60 Hektar große jardin philosophique, der am 28.Juni 2012 - zum 300.Geburtstag des großen romantischen Aufklärers - erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, den Namen „Parc Jean Jacques Rousseau“. An dessen Eingang war und ist bis heute auf einer Steintafel zu lesen: „An diesem wilden Ort werden alle Menschen Freunde und alle Sprachen akzeptiert.“