Zurueck zur Natur?
![]() | Anlass Jean Jacques Rousseaus 300.Geburtstag |
Er zählt bis heute zu den umstrittensten Denkern Europas. Vom Volk verehrt (das bei Neuerscheinungen seiner Werke Schlange stand, um ein Exemplar zu ergattern), von den Behörden zensiert, von vielen zeitgenössischen Denkern ebenso bewundert wie verachtet, führte Jean Jacques Rousseau (1712-1778) ein „wildes Leben“, das mit dem Werk, das er hervorgebracht hat - in all seinen Widersprüchen - untrennbar verbunden ist.
Jean Jacques Rousseau blickt kurz vor seinem Tod in den Garten von Ermenonville
Jean Jacques Rousseau als Armenier verkleidet (linkes und rechtes Bild), im Portrait und mit dem Sarkophag zu seinen Ehren in Ermenonville
Rousseaus Werke - vor allem der große Erziehungsroman Emile, der umfangreichen Briefroman Julie oder Die neue Heloise und seine staatsrechtliche Abhandlung Vom Gesellschaftsvertrag (Du contrat social) - werden daher bis heute als Quellen für verschiedene aktuelle Fragen herangezogen: Von der Pädagogik bis zur Ökologie, von Geopolitik, Pazifismus und Globalisierungskritik bis zur direkten Demokratie. Dabei wird, in einer Zeit, in der demokratische Tugenden wie Bürgersinn bedroht sind, besonders seine Fähigkeit, „nein“ zu sagen, geschätzt. Dazu war er mit einer Konsequenz in der Lage, die ihn weder das Zerbrechen von Freundschaften, noch Schmerzen oder Verfolgung fürchten ließ und ihn vielleicht auch deshalb schon zu Lebzeiten zu einem - wie wir heute sagen würden - „Star“ gemacht hat.
Rousseaus Verhältnis zur Öffentlichkeit war außergewöhnlich. Er polarisierte durch sein Auftreten (etwa wenn er sich als Armenier verkleidete oder die Kleidersitten bei Empfängen völlig missachtete) ebenso wie durch sein Schreiben, das sich - ungewöhnlich für seine Zeit - immer auch um seine eigenen Person drehte, seine Erfahrungen und seine ebenso ungewöhnlich kritische Selbstreflexion. Genau darin offenbart sich aus heutiger Sicht Rousseaus Modernität: Sein Werk wirft bereits ein deutliches Licht auf ein im 18. Jahrhundert noch recht unbekanntes Phänomen: die Freiheit des Individuums.
Es erscheint wie eine Ironie des Schicksals, dass einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Individualität sein Leben als gebrochenen Mann, vereinsamt, verzagt und paranoid beendet. Ausgerechnet mit Blick auf jenen seltsamen Park in Ermenonville, 50 Kilometer nördlich von Paris, den einer seiner größten Bewunderer, der Marquis René Louis de Girardin, ganz nach den Vorstellungen seines Idols errichten ließ: als künstliche Wildnis, als simulierte Ursprünglichkeit, die es dem Besucher ermöglichen soll, durch die Erfahrung der äußeren Natur seinen inneren Naturzustand wiederzuerkennen.
Heute trägt der 60 Hektar große jardin philosophique, der am 28.Juni 2012 - zum 300.Geburtstag des großen romantischen Aufklärers - erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, den Namen „Parc Jean Jacques Rousseau“. An dessen Eingang war und ist bis heute auf einer Steintafel zu lesen: „An diesem wilden Ort werden alle Menschen Freunde und alle Sprachen akzeptiert.“