Schiele - Por-No-Superstar
![]() | Anlass Kinostart des Films „Tod und Mädchen“ von Dieter Berner |
Junge Frauen und minderjährige Mädchen, halb nackt, nackt, mit entblößtem Geschlecht. Menschenkörper wie offene Wunden. Auch der eigene. Die schonungslosen Selbstporträts und die als pornografisch gescholtenen Akte machten den jungen und früh (an der Spanischen Grippe) verstorbenen Egon Schiele (1890-1918) schnell zum Enfant terrible des Wiener Fin de Siècle. Heute erzielen seine Werke am internationalen Kunstmarkt viele Millionen Euro. Ein Großteil seines Oeuvres aber ist immer noch im Besitz österreichischer Museen und Sammlungen, allen voran der Albertina, der Österreichische Galerie Belvedere und des Leopold Museums. Neben Oskar Kokoschka und Gustav Klimt zählt Schiele zu den Bahnbrechern der Moderne in Österreich.
Ikonische weibliche Akte von Egon Schiele (Albertina und MAK)
Immer schon aber interessierte man sich nicht bloß für das umfangreiche zeichnerische und malerische Werk des Künstlers, dessen Motive provokativ und dessen Stil radikal neu waren, sondern für sein „Leben“: Seine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Gerti, seine „Weibergeschichten“, seine wilde Ehe mit Wally Neuzil und natürlich den angeblichen Missbrauch einer 13-Jährigen. Ein Vorwurf, der sich zwar als haltlos erwiesen hatte, ihm schließlich aber eine Verurteilung wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“ einbrachte.
Selbstbildnisse: „Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heisst keimendes Leben morden!“ (oben links, 1912), Porträt von Egon Schiele vor seinem Spiegel im Hietzinger Atelier, im Hintergrund das Gemälde "Tod und Mädchen", Fotografie von Johannes Fischer © Leopold Privatsammlung/Foto: Leopold Museum, Wien (oben rechts, 1915), "Grimassierendes Aktselbstbildnis" (unten links, 1910) und "Selbstbildnis als Halbakt" (unten rechts, 1911)
Zweimal "Tod und Mädchen": Still aus dem Film von Dieter Berner, © Thimfilm (links, 2016) und Egon Schieles Bild aus der Sammlung der Österreichischen Galerie Belvedere (rechts, 1915)
"Der Tod und das Mädchen" als klassisches Motiv in der Kunstgeschichte: Zeichnung von Hans Leu d. J., Sammlung Albertina (links, 1525) und Gemälde von Hans Baldung Grien, Kunstmuseum Basel (rechts, 1517)
Der Titel (sowohl des Buches als auch des Films) zitiert den Titel eines nicht skandalisierten Meisterwerks des Künstlers („Tod und Mädchen“); ein Titel, der selbst auf ein sowohl schauriges als auch erotisches Motiv Bezug nimmt, das seit dem 16. Jahrhundert in verschiedenen Kunstgattungen verarbeitet wurde und in dem der personifizierte Tod als Verführer oder gar als Liebhaber einer jungen Frau auftritt. Das großflächige Gemälde mit den Maßen 150 × 180 Zentimeter, das Teil der Schiele-Sammlung der Österreichischen Galerie Belvedere ist, entstand im Jahre 1915, als der Maler nach der Heirat mit Edith Harms zum Militärdienst im Ersten Weltkrieg eingezogen war und diesen in einer Kanzlei in der Nähe von Wien versah. Die Verknüpfung von Tod und Eros ist in Schieles Variante des bekannten Motivs deutlicher als in vielen anderen Darstellungen: die Frau umklammert die Gestalt wie einen Geliebten, der Tod ist nicht als Gerippe sondern in einer Mönchskutte dargestellt. In der Rezeption wird immer wieder ein Vergleich zu Oskar Kokoschkas 1914 entstandenem Gemälde „Die Windsbraut“ gezogen und damit festgestellt, dass die sich in gegensätzliche Richtungen entwickelnden Künstler in ihren Anfängen einander eng berührt haben.
"Tod und Mädchen" von Egon Schiele (links) und "Die Windsbraut" con Oskar Kokoschka (rechts)
Die Geschichte, die der Film erzählt, hat aber mehr mit einem anderen Schiele-Bild zu tun, dem der Künstler den sprechenden Titel „Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heisst keimendes Leben morden!“ gegeben hat: Es ist eines der drei Selbstbildnisse aus dem Jahr 1912, die Schiele während seiner Untersuchungshaft angefertigt hat. Die aus dem Titel sprechende Überzeugung bezieht sich zwar unmittelbar auf seine Festnahme und die dramatisch zunehmende Angst vor einer harten Verurteilung zu jahrelanger Haft, mittelbar aber auch auf die „alltäglichen Hemmungen“, als die Schiele - folgt man Berners Film - seinen Liebesbeziehungen gesehen hat. Und die er, seiner künstlerischen Leidenschaft folgend, auf dem Altar der Kunst geopfert hat.