Achtung Baustelle
![]() | Anlass 150 Jahre Wiener Ringstraße |
Am 25. Dezember 1857 überraschte die amtliche "Wiener Zeitung" die Bevölkerung mit dem Abdruck des Schreibens Kaiser Franz Josefs an Freiherrn von Bach, den Minister des Inneren, in dem er seine Pläne zur Stadterweiterung bekannt gab, die Wien in den folgenden Jahrzehnten in eine Großbaustelle verwandeln sollten.
Planung der Wiener Ringstraße: Links Stadtplan mit Glasis; rechts der Stadterweiterungsplan
Josefstädter Glacis: Die Lithographie aus dem Jahre 1865 zeigt den prekären Zustand der Wegverhältnisse zur Zeit der Wiener Stadterweiterung
Unmittelbar vor der Errichtung der Ringstraße: Links das Glacis vor der Burgbastei (heute etwa Getreidemarkt); rechts Abriss der Werdertores
Nachdem sich beinahe das gesamte Who-is-Who der Wiener Architektenszene an der Ausschreibung beteiligt hatte, wurden - da keiner der Pläne für sich allein überzeugen konnte - drei Entwürfe von Friedrich Stache, Ludwig Förster sowie August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, die später u.a. die Staatsoper entwerfen sollten, zu einem Gesamtplan verschmolzen. 1859 wurde der Grundplan, in dem sich viele Ideen der prämierten Wettbewerbsteilnehmer wieder fanden, vom Kaiser genehmigt, der auch in den folgenden Jahren immer wieder - neuen Anforderungen entsprechend - geändert wurde. Neben Parkanlagen und öffentlichen Gebäuden waren großzügige Bauflächen vorgesehen, die dem aufstrebenden Großbürgertum die Errichtung prachtvoller Repräsentationsbauten ermöglichen sollte. Nicht zuletzt sah der Plan auch vor, durch den Verkauf von Grundstücken an Private zumindest einen Teil der nötigen finanziellen Mittel für die staatlichen bzw. öffentlichen Gebäude sicher zu stellen.
Für die Prachtstraße, die nicht nur sämtliche wichtige Gebäude des Reiches vereinen, sondern auch die soeben eingemeindeten Vorstädte näher an das Stadtzentrum rücken sollte, mussten zunächst einmal die Festungsmauern weichen. 1858 begann der Abbruch beim Rotenturmtor am Donaukanal, bis auf das Burgtor wurden nach und nach auch alle anderen Teile der ursprünglichen Stadtbefestigungsanlage abgetragen. Die Schleifung der Bastionen war Stadtgespräch. Und Johann Strauß Sohn schrieb sogar eine darauf Bezug nehmende "Demolirer-Polka".
Gebaut wurde dann rasch: Schon im Mai 1858 konnte das erste Stück des neuen Rings zwischen Aspernbrücke und Rotenturmstraße vom Verkehr genutzt werden - "allerhöchst" verfügte der Kaiser, dass dieser Abschnitt seinen Namen tragen dürfe. Sieben Jahre später, am 1. Mai 1865, wurde dann die „eigentliche“ Ringstraße feierlich eröffnet, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt alles andere als fertig war. Erst nach und nach erfolgte die Fertigstellung der einzelnen Abschnitte sowie der Bebauung, auch die Alleebäume, die entlang der Spuren gesetzt wurden, mussten noch gedeihen.
Reichsratsgebäude (Parlament) und Rathhaus under construction
Bauarbeiten in den 1950er Jahren: Oben und links unten Fotos von der Errichtung des Opernringhofes; rechts unten Bauarbeiter am Ringturm
Nach den Zerstörungen im 2.Weltkrieg und im Zuge der Ausweitung des motorisierten Individualverkehrs Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre erlebte der Ring (und die Lastenstraße) nochmals einschneidende Baumaßnahmen: Von der Errichtung des Opernringhofs (1955) an Stelle des zerstörten Heinrichhofs über den Bau des Ringturms (1955) bis zum sog. „Jonas-Reindl“ am Schottenring (1960), der Opernpassage (1955) und anderer Fußgängerunterführungen sowie den 1966 eröffneten Straßenbahntunnel für die Linien 2. Bis Anfang der 1970er Jahre herrschte am Ring noch Gegenverkehr; zwanzig Jahre später wurde der Boulevard auch mit - bis heute umstrittenen - Radwegen ausgestattet.
So prächtig die Ringstraße heute auch ist: Sie wurde unter größten Anstrengungen errichtet. Um dem Repräsentationsbedürfnis des Kaiserhauses und der Selbstdarstellung des erstarkten liberalen Großbürgertums - und in den 1950er und 1960er Jahren dem „modernen Wien“ - zu genügen, mussten die Wiener viele Jahre in einer Baustelle wohnen und arbeiten. Auch die Ziegelproduktion für die Prachtbauten war Schwerstarbeit. Hauptsächlich böhmische und mährische Einwanderer, die so genannten "Ziegelbehm", produzierten den Baustoff unter fast sklavenartigen Bedingungen in den Ziegelfabriken der Stadt. Die Bilderserie in diesem Beitrag wirft zur Erinnerung daran einen etwas anderen Blick auf auf das Weltkulturerbe „Wiener Ringstraße“.