Nicht nur ein Paar Schuhe
![]() | Anlass Ausstellung „SHOEting Stars. Der Schuh in Kunst und Design“ im Kunsthaus Wien |
Der Schuh in der Kunst ist ein unerschöpfliches Thema, das vor allem ab dem 20. Jahrhundert von sehr vielen Künstlerinnen und Künstlern behandelt wurde. Das berühmteste Schuh-Bild stammt jedoch aus dem Jahre 1886 und trägt den schlichten Titel „Ein Paar Schuhe“. Vincent van Gogh fand es, das Schuhpaar, auf einem Pariser Flohmarkt – und malte es dann in seinem Atelier. So wurde das abgetragene Paar zum populärsten Schuhwerk der Kunstwissenschaft und zum Lieblingsobjekt der philosophischen Ästhetik.
Martin Heidegger (1889-1976) versuchte in seinem langen Aufsatz „Der Ursprung des Kunstwerkes“ das Wesen der „Kunst an sich“ aus der genauen Untersuchung allein dieses Bildes herzuleiten. Und löste damit eine über viele Jahrzehnte dauernde kunstphilosophische Debatte aus. Noch 30 Jahre später spottete der Kunsthistoriker Meyer Schapiro, Heidegger missbrauche van Gogh bloß als Vorwand für seine raunenden Fantasien, für das tremolierende „Pathos des Ursprünglichen und Bodenständigen“. Weihevoll, so Meyer Schapiro, lese Heidegger aus ein paar ausgelatschten Schuhen genau die dunkle Seinsphilosophie heraus, die er vorher stillschweigend, sozusagen auf leisen Sohlen, in sie hineingelegt habe.
Es sollte schließlich weitere 20 Jahre dauern bis Jacques Derrida (1930-2004) in „Die Wahrheit in der Malerei“ (1987) endlich den Titel des van Gogh’schen Bildes in Frage stellte, das offensichtlich zwei linke Schuhe darstellt, und damit ganz neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnete. Zum Beispiel die psychoanalytische, die Derrida lustvoll in Betracht zieht, um schließlich mit der Vorstellung von der Malerei als Spiegel der Realität endgültig aufzuräumen. "Diese Schuhe“, so Derrida, „sind eine Allegorie der Malerei.“
Das Allegorische haben Schuhe auch jenseits von Malerei und Kunst an sich. Sie dienen - neben ihrer profanen Funktion - immer schon auch als Zeichen für andere Sachen. Ob als Fetisch oder als Statussymbol, kaum ein anderes Kleidungsstück ist so stark symbolisch besetzt wie das „Kleid“ für den Fuß: In Erzählungen oder Märchen wird ihm Zauberkraft verliehen; der Stiefel kann für Herrschaft stehen, Maßschuhe beim Herren gelten als Zeichen des Erfolges; mit dem Damenstiefel wird sexuelle Begierde, weibliche Stärke oder Dominanz assoziiert. High Heels stehen für Erotik, aber auch für Beengung, für Zwang (denn mit solchen Schuhen kann sie nicht weglaufen).
Das Kleidungsstück Schuh hat seit je die Phantasie der Menschen angeregt und unterlag Jahrtausende lang einem strengen Reglement: Im antiken Griechenland wurde 700 v. Chr. eine Verordnung erlassen, die die Verwendung von Juwelen auf Sandalen regelte; im Römischen Reich gab es klare Vorschriften, wer welches Schuhwerk und wie verziert tragen durfte; im Mittelalter sagte die Länge der Schuhspitze bei den damals modernen Schnabelschuhen etwas über die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand aus und im absolutistischen Frankreich war es nur dem König und hohen Adligen gestattet, rote Absätze zu tragen. Heute wird das Schuh-Regelwerk zwar nicht mehr von der Obrigkeit verordnet, es funktioniert aber immer noch als Distinktionsinstrument. Besonders in Jugendkulturen sind bestimmte Schuhe äußeres Erkennungszeichen der Gruppenzugehörigkeit (zum Beispiel Doc Martens, Springerstiefel, Birkenstock-Schuhe oder Marken-Sneaker).
Schnabelschuh (15.Jahrhundert) aus der Sammlung des Instituts für Realienkunde, Schuh-Kunst von Joe Insa (2010) aus der Ausstellung "SHOEting Stars" im Kunsthaus Wien