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Samstag, 14. Juni 2014



Sonntag, 27. April 2014


Donnerstag, 22. Mai 2014 um 16:46:50 von Kulturpool Redaktion

Der Penis, der da (nicht) hingehort

Anlass
Das Plakatsujet des Life Ball 2014

„Wie kommen ganz normale Bürger dazu, uns so was anschaun zu müssen“, empören sich in den letzten Tagen unzählige Poster auf diversen Online-Plattformen. „So was“, das ist ein Foto des amerikanischen Kitsch-Pop-Surrealisten Dave LaChappelle. Es zeigt das Transgender-Model Carmen Carrera unter dem Motto "Ich bin Adam - Ich bin Eva - Ich bin ich" nackt in einem "Garten der Lüste" - und zwar sowohl mit männlichen als auch weiblichen Geschlechtsteilen.

Der durch seine Auseinandersetzung mit Themen wie Spiritualität und Religion, Personenkult und Körperlichkeit sowie mit der Hinterfragung gesellschaftlicher Normen von Geschlecht und Sexualität bekannt gewordene Fotograf lieferte damit das Sujet für das Werbeplakat des Life Ball, der am 31.Mai zum 22.Mal in Wien über die Bühne geht.

Das Life Ball-Plakat von Dave LaChappelle "mit" und "ohne" (Foto: Life Ball 2014)

Erregte BürgerInnen und PolitikerInnen glauben darin eine „sittliche Gefährdung samt Irreleitung des Geschlechtstriebes“ (FPÖ-Familiensprecherin Anneliese Kitzmüller) zu erkennen und beschwören wieder einmal den drohenden Untergang des christlichen Abendlandes. Obwohl „so was“ seit der Antike immer wieder Gegenstand künstlerischer Darstellung ist.

„So was“ steht zum Beispiel seit 1932 unbescholten mitten in einem öffentlichen Park in Stratford-upon-Avon; „so was“ ist in unzähligen Varianten in fast allen europäischen Museen zu sehen, im Paris Louvre ebenso wie in den Kapitolinischen Museen in Rom, im Amsterdamer Rijksmuseum oder im Kunsthistorischen Museum in Wien. Und seit Jahrhunderten auch an der Kathedrale von Modena, einem der bedeutendsten romanischen Baumwerke Europas: In einer Darstellung, die heute - auf einem öffentlich achifierten Plakat - sensible Passanten nach dem Staatsanwalt rufen lassen würde: Ein Hermaphroditus oder eine Hermaphrodite mit üppigem Busen und gespreizten Beinen, die dem Blick auf Penis und Hoden lenken. Dorthin, wo diese Geschlechtsteile ihrer Meinung nach nicht hingehören.

Darstellung eines Hermaphroditen an der Kathetrale von Modena

Ein Gang durch europäische Museen, die Lektüre gefeierter Autoren von Ovid („Metamorphosen“) bis Jeffrey Eugenides („Middlesex“) macht deutlich: Nicht erst heute - und nicht erst seit Conchita Wursts Erfolg beim Eurovisions-Song-Contest - hat die Idee, dass eine strikte Aufteilung aller Menschen in zwei Geschlechter den natürlich vorhandenen Gegebenheiten nicht gerecht wird, Konjunktur.

Hermaphroditen in der Kunst: Auswahl von Darstellungen

In anderen Kulturen und Religionen werden Intersexuelle (oft zusammen mit Transgender-Personen) als Angehörige eines dritten Geschlechts betrachtet, wie die Two-Spirit vieler nordamerikanischer Indianerstämme, indische Hijras, die Khanith Omans oder thailändischen Katoys. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war in der thailändischen Gesellschaft eine dreipolige Geschlechtereinteilung in männlich, weiblich und kathoey (‚Zwitter‘) verbreitet. Auch in einigen buddhistischen Ursprungsmythen werden drei originäre Geschlechter genannt. Erst in den 1950er-Jahren hielt eine westlich beeinflusste, von Biomedizin geprägte Sicht auf Geschlechterkategorien einzug. Das von der westlichen Kultur abweichenden Geschlechtermodell, das es bei vielen alten nordamerikanischen Indianerstämmen gegeben hat (Two-Sprits bedeutet, dass „zwei Seelen“ in einem Körper vereint sind), fiel schon viel früher dem Kolonialismus zum Opfer. Two-Spirits nahmen oft die Position von Schamanen ein. Weil sie beide Geschlechter in sich vereinigten, hätten sie eine direktere Verbindung zum geschlechtslosen Göttlichen. Intersexuellen und transgender Menschen wird etwa das Potenzial übernatürlicher Wahrnehmung zugeschrieben, sie sind verantwortlich für Heilungen und Rituale.

Links: Hermophroditus und die Nymphe Salmacis (aus der Gemäldegalier des Kunsthistroischen Museums Wien) und rechts: Hermophrodit

Auch in den buddhistischen und hinduistischen Hochkulturen finden wir intersexuelle Gottheiten. Die bekannteste ist Bodhisattva Avalokiteshvara, Gottheit des Mitgefühls (japan. „Kannon“). Auch hier wird das Transzendieren der Geschlechtergrenzen als spirituelle Überwindung der Dualität interpretiert. Obwohl Bodhisattvas, da in ihnen alle Gegensätze als überwunden gelten, eigentlich keine Geschlechtszugehörigkeit haben und es auch in den kanonischen Texten des Buddhismus keine Hinweise auf weibliche Bodhisattvas gibt, haben sich in China, Vietnam und Japan auch weibliche Darstellungen Avalokiteshvaras (Guanyin, Quan-âm, Kannon) entwickelt und hohe Popularität erlangt.

Dave LaChappelles Spiel mit kunsthistorischen Referenzen Links: Ausschnitt aus dem Foto für das Life Ball Plakat. Rechts: Detail aus dem Tryptichon "Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch (ca.1450-1516)

In christlichen, patriarchalisch geprägten Gesellschaften wird dagegen häufig auf die Bibel verwiesen. Gott habe laut Schöpfungsgeschichte die Menschen ausschließlich als Mann und Frau geschaffen. Daher wurden Intersexuelle gerade hier immer wieder gezwungen, sich einem dieser beiden Geschlechter anzupassen. Mit gravierenden psychischen und physischen (ungewollte operative Eingriffe) Folgen.

Jenseits der Frage, ob grundlegende Menschenrechte verletzt werden dürfen, um die zweigeschlechtliche Grenzziehung aufrecht zu erhalten, gab und gibt es auch immer wieder Versuche die kirchliche Lehre selbst von theologischer Seite in Frage zu stellen. So hat die intersexuelle Theologin Sally Gross 1999 in Bezug auf zwei Bibelstellen (Gen 1,27 GNB und Num 5,3 GNB) darauf hingewiesen, dass – dem Buchstaben nach – die Grammatik dieser Texte auf mehr als zwei Geschlechter hinweisen könnte. Und auch Paul Lafargue berief sich über hundert Jahre zuvor in seiner religionskritischen Schrift „Der Mythos von Adam und Eva“ (1891) auf zwei berühmte hebräische Theologen (Moses Maimonides im 12. und Manasse Ben Israel im 17. Jahrhundert) und deren Genesis-Exegese. Demnach sei Adams Körper, wie der des Hermaphrodit, des Kindes von Hermes und Aphrodite, gleichzeitig ein Mann und eine Frau gewesen. Und weil Adam und seine (männlichen) Nachkommen nach dem Bild Elohims geschaffen worden seien, seien sie somit zugleich „Männlein und Fräulein“ (Lafargue) gewesen.

Und das klingt fast wie Dave LaChappelles Motto für den Life Ball: „Ich bin Adam - Ich bin Eva - Ich bin ich“.

-> Ausstellung „Once in the Garden“: Fotografien von Dave LaChappelle 02.06. – 14.09.2014 Ostlicht. Galerie für Fotografie