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Sonntag, 27. April 2014



Donnerstag, 20. März 2014


Montag, 31. März 2014 um 16:32:39 von Kulturpool Redaktion

Die Musicbox

Anlass
Archivpiraten stellen 29 Mitschnitte des Ö3-Kultmagazins auf YouTube online

„Wenn um 15 Uhr, präziser: fünf Minuten nach 15 Uhr, die Signation der ‚Musicbox‘ ertönte,“ erinnert sich Walter Gröbchen, langjähriger Redakteur des legendären Radiomagazins, „schaltete halb Österreich auf die Regionalwellen um. Die andere Hälfte aber lauschte entweder gebannt oder irritiert dem Wort- und Musikschwall, der da folgte.“ Die Musicbox war Kult; „die einzige vernünftige Sendung, die je auf Ö3 lief“, wie in einem Kommentar zu einer Ausstellung im Wien Museum über einen anderen Redakteur der Sendung, Werner Geier, zu lesen war: „Radio, wie's sein soll: geistreich, witzig, kontrovers, informativ, horizonteröffnend“.

Die Musicbox war der Stachel im Programm des Referenzsenders einer sicher immer mehr ausbreitenden Positivgesellschaft, der die glatte Kommunikation des Gleichen störte. Sie erzeugte eine Negativspannung, die den Geist der Nicht-Umschaltenden-Ö3-Hörer - 27 lange Jahre - lebendig hielt: Nicht nur mit Musik sondern auch durch die kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ausstellungen, Büchern, Kinofilmen, Popkonzerten und mit gesellschaftlichen Diskussionen. Sie stellte damit fast das einzige Bindeglied des ORF zu jugend- und subkulturellen Themen dar.

Gruppenbild der Programmgestalter und Disc Jockeys des neuen Senders Ö3 u.a. mit Andrè Heller und Ernst Grissemann. Foto aus der Zeitschrift „Bravo“ aus dem Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek.

Ältere Hörer, die mit der „Musicbox“ in den 1970er-Jahren aufgewachsen sind, erinnern sich noch an die unverkennbare Signation: Sie bestand aus den ersten 7 Sekunden von James Browns „Choo-Choo (Locomotion)“ gefolgt von „Speed Kills“ (aus der LP „Stonedhenge“ von Ten Years After), das vom Geräusch einer Lokomotive geprägt wird, das von einem Stereokanal in den anderen wechselte, bis das Ganze lautstark durch einen Lokomotivenpfiff bzw. ein Lokomotivsignal beendet wurde. Auch die ab Mitte der 1980er Jahre verwendete Signation (ein von Holger Hiller bearbeiteter Ausschnitt des Songs „Yü-Gung“ der „Einstürzenden Neubauten“) war kaum weniger einprägsam.

Die „Box“ (wie sie von Fans genannt wurde) hatte eine über das ganze Bundesgebiet verstreute eingeschworene Fan-Gemeinde, die aus Gymnasiasten, Studenten, Künstlern, Aussteigern und jungen Angestellten bestand. Namen wie Wolfgang Kos, Michael Schrott, Günter Brödl, Werner Geier, Eberhard Forcher, Martin Blumenau und natürlich (in der Ur-Zeit der Musicbox) Andre Heller sind ebenso fixe Begriffe in der Sozialisierungs-Historie einer Generation wie „Die komplette LP“ oder - ebenfalls in den 1970er Jahren - die Schwerpunktsendungen über stilprägende musikalische Aussenseiter wie John Cale, Kevin Coyne oder Nick Drake, aber auch über Stars wie The Kinks, The Cream, Bob Dylan oder The Rolling Stones.

Die „Musicbox“ machte es sich zur Aufgabe, Pop abseits des Ö3-Mainstream gleichzeitig zu transportieren und zu reflektieren. Sie war in den Anfangsjahrzehnten des österreichischen Radiosenders Ö3 für viele junge Menschen das prägende Radio-Magazin. Viele, die die zwischen 15:05 und 16 Uhr ausgestrahlte Sendung nicht live hören konnten, nahmen sie eigens auf Musikkassete auf, um die werktägliche Sendung zeitversetzt anhören zu können.

Über diesen Weg hat sich auch die eine oder andere Sendung auf einem winzig kleinen Youtube-Kanal ins digitale Zeitalter gerettet. Auf eichkatzerlvomgrund finden sich 29 Mitschnitte der „Musicbox“, „dem hardlinigen musikalischen Befehlsausgeber der 70er, 80er und auch noch 90er Jahre, der lange Zeit lang einzigen Medien-Quelle für neue und gewagte Musik, der ebenso einzigen Diskurs-Plattform zur populären Kultur.“ (Martin Blumenau). Festgehalten durch eine antike Aufnahmetechnik und abgespeichert in einem artfremden optischen Medium, können sich Interessierte noch heute einen Eindruck von der legendären Radiosendung machen - zumindest wie sie sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre anhörte.

Screenshot von der Website der Österreichischen Mediathek: „Patina - Kostbares und Kurioses aus dem Archiv, Nr. 61 - Jugendsendungen (1996)“ - www.mediathek.at

Die Mitschnitte konzentriert sich auf die Hohe-Zeit des lauten weißen Underground-Rock-Widerstands dieser Tage. Bands wie The Jesus And Mary Chain, Hüsker Dü, Crime & the City Solution oder die Meat Puppets, der Gun Club oder Henry Rollins, aber auch heute als Giganten akzeptierte damalige Außenseiter wie The Smiths oder The Cure waren die musikalischen Speerspitzen einer widerständigen Grundhaltung, die Repräsentanten von Aufmüpfigkeit, eine sichere Garantie für völliges Unverständnis einer Mehrheits(hörer)gesellschaft.

Früher oder später musste diese Irritation eliminiert werden. Das „kulturelle Grundnahrungsmittel“ einer vergleichsweise kleinen Hörergemeinde (das unzählige Kulturschaffenden der nächsten Generation ernährt hatte) sollte im Sortiment des Radiosupermarktes Ö3 schließlich keinen Platz mehr finden. Durch die 1993 im Zug der Ö3-Reform erfolgte Verlegung des traditionellen Nachmittag-Sendetermins in den späten Abend verlor die „Box“ auch viele Stammhörer. Die schwindenden Hörerzahlen wurden denn auch gegen das seit jeher umstrittene Minderheiten-Angebot ins Treffen geführt. Die Umstellung von Ö3 auf Formatradio-Flächen und die Erweiterung der ORF-Senderkette um den „Alternative Mainstream“/Jugendkultur-Sender FM4 brachte schließlich das unvermeidbare Ende. Die letzte „Musicbox“ ging am 13. Jänner 1995 über den Äther.

Bis heute sind die Musikbox-Sendungen, die ein zentraler, kulturhistorisch wichtiger Bestandteil des Österreichischen Kulturerbes sind, - abgesehen von den genannten YouTube-Mitschnitten - für die Öffentlichkeit nicht zugänglich; nicht nur aus urheberrechtlichen Gründen, sondern auch weil der ORF seine Archivschätze nur kommerziell vertreiben möchte oder sie - für wissenschaftliche Zwecke - nur einem sehr begrenzten Personenkreis nützen lässt. Die Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte stellt ausschließlich für Studierende und WissenschafterInnen der Universität Wien via ORF-Archiv-Außenstelle Zugang zum seit 1955 gesendeten und digital vorhandenen Material zur Verfügung. Einzige Ausnahme bilden die Ö1-Hörfunkjournale der Jahre 1967-1999, die in digitalisierter Form über die Österreichische Mediathek für die Öffentlichkeit auch online zugänglich sind (http://www.journale.at/die-oe1-hoerfunkjournale-1967-1999/).

-> http://www.oesterreich-am-wort.at/treffer/atom/136B9CDC-017-02C78-00000904-136AFAF1/

-> http://gosong.net/musicbox_oe3.html

-> http://www.youtube.com/watch?v=uNEvBFzsGlk