Die Musicbox
![]() | Anlass Archivpiraten stellen 29 Mitschnitte des Ö3-Kultmagazins auf YouTube online |
„Wenn um 15 Uhr, präziser: fünf Minuten nach 15 Uhr, die Signation der ‚Musicbox‘ ertönte,“ erinnert sich Walter Gröbchen, langjähriger Redakteur des legendären Radiomagazins, „schaltete halb Österreich auf die Regionalwellen um. Die andere Hälfte aber lauschte entweder gebannt oder irritiert dem Wort- und Musikschwall, der da folgte.“ Die Musicbox war Kult; „die einzige vernünftige Sendung, die je auf Ö3 lief“, wie in einem Kommentar zu einer Ausstellung im Wien Museum über einen anderen Redakteur der Sendung, Werner Geier, zu lesen war: „Radio, wie's sein soll: geistreich, witzig, kontrovers, informativ, horizonteröffnend“.
Die Musicbox war der Stachel im Programm des Referenzsenders einer sicher immer mehr ausbreitenden Positivgesellschaft, der die glatte Kommunikation des Gleichen störte. Sie erzeugte eine Negativspannung, die den Geist der Nicht-Umschaltenden-Ö3-Hörer - 27 lange Jahre - lebendig hielt: Nicht nur mit Musik sondern auch durch die kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ausstellungen, Büchern, Kinofilmen, Popkonzerten und mit gesellschaftlichen Diskussionen. Sie stellte damit fast das einzige Bindeglied des ORF zu jugend- und subkulturellen Themen dar.
Gruppenbild der Programmgestalter und Disc Jockeys des neuen Senders Ö3 u.a. mit Andrè Heller und Ernst Grissemann. Foto aus der Zeitschrift „Bravo“ aus dem Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek.
Die Mitschnitte konzentriert sich auf die Hohe-Zeit des lauten weißen Underground-Rock-Widerstands dieser Tage. Bands wie The Jesus And Mary Chain, Hüsker Dü, Crime & the City Solution oder die Meat Puppets, der Gun Club oder Henry Rollins, aber auch heute als Giganten akzeptierte damalige Außenseiter wie The Smiths oder The Cure waren die musikalischen Speerspitzen einer widerständigen Grundhaltung, die Repräsentanten von Aufmüpfigkeit, eine sichere Garantie für völliges Unverständnis einer Mehrheits(hörer)gesellschaft.
Früher oder später musste diese Irritation eliminiert werden. Das „kulturelle Grundnahrungsmittel“ einer vergleichsweise kleinen Hörergemeinde (das unzählige Kulturschaffenden der nächsten Generation ernährt hatte) sollte im Sortiment des Radiosupermarktes Ö3 schließlich keinen Platz mehr finden. Durch die 1993 im Zug der Ö3-Reform erfolgte Verlegung des traditionellen Nachmittag-Sendetermins in den späten Abend verlor die „Box“ auch viele Stammhörer. Die schwindenden Hörerzahlen wurden denn auch gegen das seit jeher umstrittene Minderheiten-Angebot ins Treffen geführt. Die Umstellung von Ö3 auf Formatradio-Flächen und die Erweiterung der ORF-Senderkette um den „Alternative Mainstream“/Jugendkultur-Sender FM4 brachte schließlich das unvermeidbare Ende. Die letzte „Musicbox“ ging am 13. Jänner 1995 über den Äther.
Bis heute sind die Musikbox-Sendungen, die ein zentraler, kulturhistorisch wichtiger Bestandteil des Österreichischen Kulturerbes sind, - abgesehen von den genannten YouTube-Mitschnitten - für die Öffentlichkeit nicht zugänglich; nicht nur aus urheberrechtlichen Gründen, sondern auch weil der ORF seine Archivschätze nur kommerziell vertreiben möchte oder sie - für wissenschaftliche Zwecke - nur einem sehr begrenzten Personenkreis nützen lässt. Die Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte stellt ausschließlich für Studierende und WissenschafterInnen der Universität Wien via ORF-Archiv-Außenstelle Zugang zum seit 1955 gesendeten und digital vorhandenen Material zur Verfügung. Einzige Ausnahme bilden die Ö1-Hörfunkjournale der Jahre 1967-1999, die in digitalisierter Form über die Österreichische Mediathek für die Öffentlichkeit auch online zugänglich sind (http://www.journale.at/die-oe1-hoerfunkjournale-1967-1999/).
-> http://www.oesterreich-am-wort.at/treffer/atom/136B9CDC-017-02C78-00000904-136AFAF1/
-> http://gosong.net/musicbox_oe3.html
-> http://www.youtube.com/watch?v=uNEvBFzsGlk