Female Selfies
![]() | Anlass Internationaler Frauentag |
Eine kursorische Reise durch die Geschichte des weiblichen Selbstporträts würde derzeit hier enden: Bei Abermillionen Smartphones, auf Instagram-, Facebook-, Tumblr- und sonstigen Social Media Seiten: bei den Selfies, die - aktuellen Studien entsprechend - besonders bei Mädchen und jungen Frauen beliebt sind. Einer Untersuchung des renommierten Pew Research Center zufolge haben mittlerweile 91 Prozent der US-amerikanischen Teenager Fotos, die sie selbst zeigen, im Internet veröffentlicht. Das mobile Social Network „just.me“ (Slogan: „Making Apps that release the Real You“) hat sich überhaupt gleich auf Selfies spezialisiert.
Eines der ersten weiblichen Selbstporträts der Kunstgeschichte von Sofonisba Anguissola (1554) - aus der Sammlung des Kunsthistorischen Museums, Wien
Obwohl ein Begriff des Internetzeitalters ist das Selfie jedoch nichts wirklich Neues. Schon Anastasia Nikolaevna, die Tochter des letzten russischen Zaren, hat sich als 13jährige mit der legendären Kodak Brownie Box mithilfe eines Spiegels selbst fotografiert und das Bild ihrem Freud geschickt. Und das künstlerisch avancierte Selbstporträt gehört spätestens seit der Renaissance zum festen Bestandteil künstlerischer Arbeit; denken wir an Dürer oder Rembrandt, van Gogh, Cézanne oder Schiele.
Selbstporträts von Frauen freilich sind weit weniger bekannt, obwohl es sie ebenso seit mehr als 600 Jahren gibt. Mit dem 1554 datierten Selbstbildnis der italienischen Künstlerin Sofonisba Anguissola zum Beispiel besitzt das Wiener Kunsthistorische Museum ein Porträt, das nicht wesentlich jünger ist als das sogenannte „Selbstbildnis im Pelzrock“ von 1500, mit dem Albrecht Dürer als Vorreiter des „unverhüllten“ Selfies in die Kunstgeschichte eingegangen ist.
Der Begriff „Selbstporträt“ freilich manifestiert sich erst im 19. Jahrhundert. Damit einher geht die zunehmende Bedeutung der Befragung des Ichs, was sich neben Erscheinungen in der bildenden Kunst auch im Aufkommen der modernen Psychologie zeigt. Die Motivation für die Gestaltung eines Selbstbildnisses ist naturgemäß je nach Künstler individuell verschieden und auch von historischen Aspekten geleitet. Es lassen sich jedoch einige Gründe dafür herausstellen, ein Selbstporträt zu machen: Künstler tauschen als Zeichen gegenseitiger Wertschätzung Selbstporträts aus. Ein Selbstporträt kann Zwecke der Werbung erfüllen (wenn ein Kunde ins Atelier kommt, sieht er gleichzeitig das Modell und kann vergleichen) oder - und dies trifft vor allem für Frauen zu, die ja lange Zeit keine Möglichkeit hatten, eine professionelle Ausbildung als Malerin zu absolvieren - schlicht zur eigenen Übung gemacht werden.
Sofern es eine Frau durchgesetzt hatte, Künstlerin zu werden und zu sein, und sie ein Selbstporträt malte, hielt sie sich meist an einen Themenkatalog, der an den gesellschaftlichen Rahmen angepasst war: Frau in der Gesellschaft, Frau als Mutter, vor allem aber auch Frau als vielseitig musisch Begabte. Zahlreiche Künstlerinnen stellten sich daher in ihren Porträts selbst als Malerinnen vor der Staffelei dar: Henriette Lorimier 1801, Marie-Guillemine Benoist 1790, Artemisia Gentileschi 1638 und Catharina van Hemessen schon anno 1548. Da es Frauen bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht erlaubt war, Akademien zu besuchen und dort die Malerei von Grund auf zu erlernen, war für sie das Selbstporträt oft der Weg, um als Künstlerin Anerkennung zu erhalten.
Weibliche Selbstporträts als Künstlerinnen (von links nach rechts): Angelika Kaufmann (ca. 1770; National Portrait, Gallery London), Catharina van Hemessen (ca. 1527; Kunstmuseum Basel), Henriette Lorimier (1801)
Ein weibliches Selbstbildnis ausführen hieß meist auch, die Kluft zu überbrücken zwischen dem, was die Gesellschaft von Frauen, und dem, was sie von Kunstschaffenden erwartete. Das Problem – oder auch die Herausforderung – für die Frauen bestand darin, dass diese beiden Erwartungshaltungen einander diametral entgegengesetzt waren. Sie reagierten darauf mit kreativer Verteidigung. Sie wollten zeigen, dass sie ebenso gut waren wie ihre männlichen Kollegen, mussten sich jedoch hüten, stolz darauf zu wirken. Sie wollten sich bei der Arbeit zeigen, durften dabei aber in keiner Weise besonders auftreten, um ja nicht zu riskieren, dass man ihre Erscheinung oder ihre Moral kommentierte.
Viele weibliche Selbstporträts bis ins 19.Jahrhundert zeigen daher, wie sich die Frauen anstrengten, um die Anforderungen der Gesellschaft an Weiblichkeit zu erfüllen und gleichzeitig glaubwürdig ihre Professionalität darzustellen. Immer wieder kamen sie auf die Motive Anspruch auf einen Platz in der künstlerischen Tradition, musikalische Begabung, Mutterschaft, Liebreiz und Attraktivität zurück. Im 20. Jahrhundert wurden diese Themen direkter angegangen und einige neue aufgegriffen: Schmerz, Sexualität, ethnische Zugehörigkeit, die gesellschaftliche Stellung und Rolle der Frau, Krankheit und Tod.
Am bekanntesten sind bis heute wohl die Selfies von Frida Kahlo (1907-1954): 55 von den insgesamt 153 Bildern der mexikanischen Malerin sind Selbstporträts, in denen sie ihr Leben und Leiden verarbeitete. Bei einem Rundgang durch die Kunstmuseen und Archive dieser Welt würde man aber auf unzählige andere weibliche Selbstbildnisse stoßen, von Marie-Denis Villers über Käthe Kollwitz, Amrita Sher-Gil und Angelika Kaufmann bis Ilka Gedö oder Maria Lassnig.
Ein bahnbrechendes Novum in der Geschichte künstlerischer Selbstporträts geht vermutlich auch auf das Konto einer Frau: Als Pionierin der Moderne legte Paula Modersohn-Becker (1876-1907) mit ihren Selbstakten den Grundstein für die Aktmalerei der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Noch vor Richard Gerstl (1908) und Egon Schiele (1910) hatte sie bereits 1906 in einem nahezu lebensgroßen Gemälde eine Selbstinszenierung als Ganzkörperakt vorgenommen und sich damit einem zu diesem Zeitpunkt kaum bekannten und durchaus brisanten Bildthema zugewandt. Denn auch unter männlichen Künstlern war ein Selbstakt damals eine Seltenheit. Und noch heute scheint der Selbstakt eine weibliche Domäne zu sein.
Links: Paula Modersohn-Beckers "Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag" (1906) ist vermutlich der erste weibliche Selbstakt der Kunstgeschichte (aus der Sammlung des Paula Modersohn-Becker Museums, Bremen). Mitte: Chantal Wicki reflektiert mit ihrem mit Nagellack gemalten Selbstbildnis "Medusa happy" die weibliche Identität auch materialtechnisch (im Besitz der Künstlerin). Rechts: "Zweifel", ein Selbstporträt von Maria Lassnig (2004/2005; Privatbesitz, Foto: Hauser & Wirth)
Ab etwa 1920 kommen neue Stilmittel zum Einsatz. Künstlerinnen wie Florence Henri, Germaine Krull oder Hanna Höch arbeiten mit ironischen Anspielungen, Überblendungen oder gezielten Inszenierungen in Rollenspielen. In Abwendung von der klassischen Bildauffassung betreten sie neue Wege auf der Suche nach Identität. Durch Spiegelungen verdoppelte Selbstportraits sowie Mehrfachbelichtungen deuten auf einen definitiven Wandel des Frauenbildes in der Gesellschaft hin. Mit dem Aufkommen des feministischen Diskurses in den 1960er und 1970er Jahren wurde - in Österreich vor allem von Valie Export (geb. 1940) - auch der Objektstatus der Frau genau untersucht und kritisiert. Die Grenzen zwischen eindeutigen Rollen von Mann und Frau in der Gesellschaft verwischten (u.a. in den Arbeiten von Pipilotti Rist, Monica Bonvicini oder Sarah Lucas), was auch ein steigendes Interesse an der Zuweisung von sexueller Identität zur Folge hatte und das Bild der Frau stets neu - und auch jenseits des „männlichen Blicks“ - konstruierte.