Engel und Opfer
![]() | Anlass Ausstellung "Kinder, wie die Zeit vergeht!" in der Österreichischen Nationalbibliothek |
„Leuchtende Augen, unbeschwerte Kindertage, aber auch der frühe Ernst des Lebens“ – die aktuelle Ausstellung "Kinder, wie die Zeit vergeht!" präsentiert im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek „die schönsten, amüsantesten und berührendsten Kinderfotos“ aus den reichhaltigen Beständen. Zum Teil noch nie gezeigte Atelier- und Pressefotos, aber auch Privataufnahmen von Buben und Mädchen lassen nicht nur die Zeit von zirka 1870 bis in die 1970er Jahre aus einer ganz besonderen Perspektive wieder lebendig werden. Vor allem geben sie - wie die Kinderbilder der gesamten Kunstgeschichte - Zeugnis vom Blick der Erwachsenen auf die Kindheit. Ein Blick, der überwiegend von Projektionen geprägt ist, seien es pädagogische, religiöse, sexuelle, politische oder ökonomische.
In Anbetracht der derzeit überstrapazierten Debatte über pädophile Kunst, die anlässlich der beiden New Yorker Balthus-Ausstellungen im Metropolitan Museum of Art und in der Gargosian Gallery auch im deutschen Feuilleton tobte, wirkt die Ausstellung in der Wiener Nationalbibliothek fast als heilsames Korrektiv. Sie zeigt - ohne es darauf angelegt zu haben - dass sich die „Benutzung“ der Kinder in der Kunstgeschichte (die Fotografie mit eingeschlossen) nicht nur in ihrer Sexualisierung erschöpft - und dass in der Sexualisierung meist nicht einmal die folgenschwerste Form des „symbolischen Missbrauchs“ zum Ausdruck kommt.
„Infantin Margarita Teresa“ (Tochter des Philipp IV. von Habsburg Spanien) aus der Werkstatt von Diego Rodríguez de Silva y Velázquez, um 1664 (Foto: Kunsthistorisches Museum Wien) und „Kronprinz Rudolf“ (Sohn von Kaiser Franz Joseph, in Oberstuniform des 19. Infanterieregiments), 1861 (Foto: Ludwig Angerer/Nationalbibliothek Wien)
Seit je zeigen Kinderbilder eben nicht nur Kinder. Kinderbilder zeigen in erster Linie das Verhältnis der jeweiligen Kultur zur Kindheit und machen dadurch retrospektiv ihren Umgang mit dem Kindsein nachvollziehbar. Vordergründig nebensächliche Details wie Mimik und Gestik der Abgebildeten, Bildkomposition, Kleidung und Requisiten sind nicht zufällig, sondern inszeniert. Besonders die in der Ausstellung der Nationalbibliothek zu sehenden Atelieraufnahmen von Kindern der 1870er bis 1890er Jahre wirken extrem standardisiert und vermitteln dadurch deutlich ein Bild von den Rollen, die Buben und Mädchen als späteren Erwachsenen zugedacht waren.
Mädchen als zukünftige Hausfrauen und Mütter werden häufig sitzend und passiv abgelichtet, während Bilder von Buben in lässiger Pose oder strammstehend den späteren Soldaten, Unternehmer, Haushaltsvorstand und Vormund der Ehefrau vorwegnehmen. Die Konstruktion und Reproduktion solcher Geschlechterrollen wird bis hin zu den Requisiten augenscheinlich: Buben bekommen Holzpferde, Peitschen, Gewehre und Trommeln beigegeben, Mädchen müssen sich hingegen mit Puppen, Fächern und Blumen "begnügen". Selbst die Benachteiligung von Frauen in Politik und Bildung lässt sich an diesen frühen Kinderfotografien ablesen: Militärische Uniformen oder Bücher als Symbol des Intellekts findet man nur auf Bubenbildern.
Plakat zur Ausstellung „Balthus Cats and Girls---Paintings and Provocations“ im Metropolitan Museum of Art, New York (2013/2014)
„Alice Liddell als Bettelmädchen“, Foto aus den späten 1850er Jahren von Lewis Caroll (links) und „Sohn des k.u.k. Oberst Otto Freiherr Ellison von Nidlef“ in militärischer Adjustierung an der Dolomitenfront, 1915 (Foto: k.u.k. Kriegspressequartier/Nationalbibliothek Wien)
Das Grosse Museum
![]() | Anlass Welt-Premiere des Kinodokumentarfims „Das Große Museum“ bei der Berlinale 2014 |
Das Kunsthistorische Museum in Wien zählt zu den größten und bedeutendsten Museen der Welt. Es wurde 1891 eröffnet und ist mit jährlich um die 1, 4 Millionen Besucher das weitaus meistbesuchte Museum Österreichs. Es beherbergt unzählige bedeutende Kunstwerke österreichischer und internationaler Provenienz (von Albrecht Dürer bis Cararvaggio, von Peter Paul Rubens bis Jan Vermeer) und ist sowohl als Gebäude als auch als Sammlungsort ein zentraler Teil des europäischen Kulturerbes. Nicht nur die Bestände des Museums werden laufend digitalisiert (und somit den Kunstinteressierten via kulturpool und Europeana weltweit zugänglich gemacht); nun liegt auch das Gebäude, das die Handschrift des großen Neorenaissance-Architekten Gottfried Semper trägt und mit Werken von Gustav und Ernst Klimt, Franz Matsch, Mihaly von Munkascy und Hans Markart ausgestattet ist, selbst gleichsam in „digitalisierter“ Form vor: Als Kinodokumentarfilm „Das Große Museum“ von Johannes Holzhausen.
„Entwurf für eine der Zwickeldarstellungen des KHM“ (von Franz von Matsch, 1870) und „Apotheose der Renaissance“ (von Mihaly von Munkascy) für das Stiegenhaus des Museums
Es sollte dann noch weitere neun Jahre bis zur Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs dauern, den schließlich Gottfried Semper und Carl von Hasenauer für sich entscheiden konnten. Die Pläne fanden auch das Wohlwollen des Kaiserhauses. Ausschlaggebend für den Erfolg von Semper und Hasenauer gegenüber den Projekten anderer Architekten war u.a. Sempers Vision eines großen Baukomplexes namens „Kaiserforums“, in dem die Museen ein Teil gewesen wären. Persönliche Differenzen zwischen Semper und Hasenauer, der schließlich ab 1877 die alleinige Bauleitung des Museums übernahm, und Sempers Tod 1879 führten - neben finanziellen und politischen Gründen - dazu, dass das Kaiserforum nicht in der geplanten Form zur Ausführung kam.
„Der alte und der neue Burgplatz in Wien mit dem Projekt des Kaiserforums“ (Aquarell von Franz Alt, 1873)
„Eröffnung des Kunsthistorischen Museums in Wien“ (Heliogravüre 1891)
Holzhausens Film wirft einen neugierigen, auch humorvollen Blick hinter die Kulissen dies Kunsthistorischen Museums. Über zwei Jahre hat sich das Team in dem Semper-Hasenauer-Bau umgesehen. In aufmerksamem Direct Cinema-Stil - kein Off-Kommentar, keine Interviews, keine Begleitmusik - beobachtet der Film die vielgestaltigen Arbeitsprozesse, die daran mitwirken, der Kunst ihren rechten Rahmen zu geben. Die Kette ineinander greifender Rädchen reicht von der Direktorin bis zum Reinigungsdienst, von den Transporteuren bis zur Kunsthistorikerin.
„Das Große Museum“ (Stills aus dem Film von Johannes Holzhausen, Navigator Film 2014)