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Diesen Kuss der ganzen Welt

Anlass
Anlass: Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Moskau, August 2013

Spektakulär war das eigentlich nicht. Und doch wurde ein Bild der Agentur Reuters letzte Woche zum Medienereignis: Zwei Sportlerinnen küssen sich auf den Mund, einem Fotografen gelingt der Schnappschuss, er schickt das Bild hinaus in die Welt. Und die steht Kopf. Denn die Frauen sind Russinnen bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Moskau und sie stehen auf dem Siegerpodest, haben gerade ihre Gold-Medaillen bekommen, als das ganze Stadion auf sie blickt.

Xenija Ryschowa und Tatjana Firowa bei der Leichtathletik-WM in Moskau (2013)
- Foto: Reuters, Carol Heiss und Sjoukje Dijkstra bei den Olympischen Winterspielen in Squaw Valley (1960) - Foto: Lothar Rübelt

Selbst in den prüden 1950er und 1960er Jahren wäre das kein globaler Aufreger gewesen, wie ein Blick in die Digitale Datenbank der österreichischen Kulturinstitutionen (www.kulturpool.at) zeigt. Das Sieger-Küssen gehörte schon bei den Olympischen Winterspielen in Squaw Valley anno 1960 zum Repertoire emotionaler Freudeskundgebungen: Auf einem nicht minder unspektakulären Foto des österreichischen Sportfotografen Lothar Rübelt zum Beispiel küsst die Eiskunstläuferin Carol Heiss (Olympiasiegerin, USA) die Zweitplatzierte Sjoukje Dijkstra (Holland) ohne eine Welle der Empörung auszulösen.

Ein Bruderkuss in Berlin

Allerdings gibt es kaum eine menschliche Geste, die derart viele Interpretationen zulässt, wie das Aneinanderdrücken zweier Lippenpaare. Im Kontext der homophoben Stimmung in Russland und der diskriminierenden Gesetzgebung, die „Werbung“ für Gleichgeschlechtlichkeit unter Strafe stellt, wurde der Siegerkuss von Xenija Ryschowa und Tatjana Firowa als Zeichen des politischen Protestes wahrgenommen, auch wenn er - wie die beiden Sportlerinnen in der Folge zu erklären bemüht waren - gar nicht als Protest intendiert war; und weil es in Moskau auch eine ganz andere Tradition des gleichgeschlechtlichen Kusses gibt, die mit Leonid Breschnews Bruderkuss für Erich Honecker anno 1979 in Ostberlin längst in die politische und - durch Dimitr Vrubels legendären Darstellung dieses Politgeknutsches auf den Resten der Berliner Mauer - auch in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

"Bruderkuss" von Dimitr Vrubel an der Berliner Mauer (1990); "Judaskuss" am Flügelaltar im Schloss Fuschl in Salzburg (zw. 1400 und 1500)

Auch wenn der Satz, den Vrubel unter das Gemälde schrieb („Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben!“), ursprünglich bloß seinen privaten Liebeskummer ausdrücken sollte, wurde er im Kontext der Reproduktion des Bildes auf dem Mauerrest (2009) ebenso als politischer Kommentar gelesen, wie der Schwesternkuss von Xenija und Tatjana bei der Leichtathletik-WM.

Ein Liebeskuss in Wien ...

Brüderküssen freilich haftet schon seit je der Makel des Verrats an. Der, den Judas Jesus gegeben haben soll, war - abgesehen von rein allegorischen Darstellungen (etwa Francesco Furinis „Die Malerei und die Dichtkunst“ aus dem Jahr 1629) - lange Zeit das einzige Kussmotiv in der Kunstgeschichte. Als Ausdruck der Liebe jedenfalls gehörte der Kuss bis ins 20.Jahrhundert zu den eher raren Sujets in der bildenden Kunst. Dies ist wohl auch ein mitentscheidender Grund, warum Gustav Klimts „Kuss“ (1907) bis heute der berühmteste der Kunstgeschichte ist. Er symbolisiert wie kaum ein anderes Kussbild die Verschmelzung, das körperliche und seelische Einswerden eines Paares, während in den diversen Kuss-Gemälden etwa von Edward Munch oder Rene Magritte eher Bedrohung oder Abwendung liegen.

"Der Kuss" von Gustav Klimt (1907); "Future Kiss" von Lenka Klimesova (2009)

Die digitale Datenbank der österreichischen Kulturinstitutionen bietet aber nicht nur einen Rückblick auf die Kunst-, sondern auch einen Ausblick in die Zukunft der Kussgeschichte: Das Video „Future Kiss“ der tschechischen Künstlerin Lenka Klimesova aus der Sammlung des Linzer Ars Electronica Centers versteht sich als performative Warnung vor dem Verlust persönlicher Intimität durch Technologie sowie drohender viraler und bakterieller Epidemien: Ausgerüstet mit einem vibrierenden Chip und einem Kussdedektor simulieren die Performer, was einst ein Kuss gewesen sein könnte (http://www.youtube.com/watch?v=gVXD_ZqsWO0).

... und einer in Paris

Dem Klimtschen „Kuss“ popularitätsmäßig und emotional annähernd das Wasser reichen kann höchstens noch Robert Doisneaus Foto „Kuss vor dem Hotel de Ville Paris“ aus dem Jahre 1950. Beide Motive haben es daher mit zu den beliebtesten künstlerischen Plakatmotiven gebracht, die tausendfach in privaten oder öffentlichen Räumen zu sehen und damit deutlich populärer sind als die Popart-Küsse eines Roy Lichtenstein.