Stille Kunst
![]() | Anlass Brot & Wein - Niederösterreichische Landesausstellung 2013 |
Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelte sich in Europa eine neue, eigenständige Gattung der Malerei: Das Stillleben. Zwar gab es auch schon in der Antike Vorläufer für die Kunst des „stillen Lebens“, insbesondere Mosaike mit Darstellungen von Esswaren, Blumen, Geschirr und gedeckten Tischen, vornehmlich in den Empfangs- und Speiseräumen der Villen, die den Ertrag der Domäne und somit den Reichtum des Grundbesitzers repräsentieren sollten, als autonome Kunstform aber existiert das Stillleben erst seit dem Barock.
Auch die direkten Vorläufer der eigentlichen Stilllebenmalerei, die im Zuge des Forscher- und Entdeckerdrangs des 15. und 16. Jahrhunderts entstanden sind, dienten noch überwiegend „kunstfremden“ Zwecken, nämlich der Erforschung der den Menschen umgebenden Natur. Derartige Zeichnungen und Aquarelle, detailgenauer Naturstudien, wie sie auch Albrecht Dürer fertigte, wurden in aufwendigen Werken über Botanik und Zoologie gesammelt und verbreitet. Diese Florilegien (Blumenbücher) sind das Bindeglied zwischen naturkundlicher Abbildung und Stillleben. Sie dienten als Typenvorrat und ebneten als Vorstufe den Weg für detailreiche Gemälde, die später als Blumenstück oder Blumenstillleben ihren festen Platz in der Kunst haben sollten.
Stillleben mit Früchten (1630/1635) Isaak Soreau zugeschrieben
Besonders in Holland und Flandern fand die „stille Kunst“ eine reiche Ausprägung. In den verschiedenen Städten entstanden zahlreiche Unterarten der Stilllebenmalerei. Aus Italien kennt die Kunstgeschichte die frühesten bekannten Früchtestillleben, aus den Niederlanden die frühesten Mahlzeitstillleben. Als Pflicht- und Bravourübungen der Stilllebenmalerei zählte dabei insbesondere die Darstellung von Trauben. Neben Brot sind sie die zentralen Symbolträger der Eucharistie, während Apfel und Pfirsich den Sündenfall symbolisieren.
Die Kunsthistorikern Sybille Ebert-Schifferer sieht vor allem den Ersatz der menschlichen Figur durch ein Objekt als Träger einer inhaltlichen Botschaft als Voraussetzung des autonomen Stilllebens. So war um 1600 der ideale Zeitpunkt für das Zusammentreffen von zwei wesentlichen Faktoren. Auf der einen Seite hatten die Künstler die technischen und kognitiven Fähigkeiten zur naturgetreuen Wiedergabe; auf der anderen Seite besaßen die Rezipienten die Fähigkeit zur intellektuellen Kombinatorik und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Malerei als künstlerisches Phänomen.
Stillleben mit Hummer (2.Hälfte 17.Jhdt.) Anonym
So sind etwa die Stillleben aus der Werkstatt von Pieter Aertsen, die für profane Gebäude und private Palais angefertigt wurden, primär philosophische Auslegungen der sichtbaren Welt - oft mit moralischen Verweisen auf gute Haushalts- und Lebensführung, die die zeitgenössische Ambivalenz zwischen der Freude am Wohlstand und materiellen Ausschweifungen widerspiegeln. Ein entsprechendes Beispiel ist Aertsens Gemälde von 1552 im Wiener Kunsthistorischen Museum: Es zeigt im Vordergrund ein Stillleben bestehend aus mehreren Objekten − darunter eine besonders großes Stück Fleisch und die moralisierende Szene von Christus bei Maria und Martha im Hintergrund.
Vanitas-Stillleben (1552) Pieter Aertsen