Menschenbilder
![]() | Anlass Dauerausstellung "Hominidenevolution" im Naturhistorischen Museum Wien |
In der Frühgeschichte der Fotografie zählen ethnographische und anthropologische Sujets zu den beliebtesten Motiven. Schon Charles Darwin (1809-1882) nutzte das neue Medium bei seiner Arbeit. Gemeinsames Kennzeichen der frühen anthropologischen und ethnografischen Fotografie ist der Glaube an die "Präzision" und die "unzweifelhafte Genauigkeit" der Fotografie. Wie die Fülle an Abbildungen in wissenschaftlichen Berichten um 1900 zeigt, galt die Fotografie in der ethnologischen Forschung lange Zeit als wichtiges „Beweismittel“. Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Fotografie kommt erst später auf.
Auch in der Anthropologisch-Ethnographischen Abteilung des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums wurde daher schon 1880 eine Fotosammlung gegründet, die mittlerweile - dem Museum für Völkerkunde zugeordnet - über 75.000 Bilder enthält. Die nun zum Teil auch online zugänglichen Bilder (Positive und fotomechanische Drucke) stellen eine Auswahl aus den einzigartigen älteren Konvoluten dar, von welchen die Alben und Mappen schon in vollem Umfang digitalisiert werden konnten.
Zum ursprünglich rein dokumentarischem Interesse an einem Medium zur vermeintlich „objektiven“ Abbildung der Wirklichkeit traten nach und nach Einsichten in die ästhetischen und damit auch subjektiven Aspekte der Fotografie. Vor allem wurde man sich bewusst, wie sehr das fotografische Bild unseren Blick auf die Welt und ihre Bewohner prägt und Vorurteile schürt oder festigt.
Die Fotografie eignet sich insbesondere auch zur Inszenierung des Primitiven (mit pittoresken Aufnahmen von Eingeborenen, die nicht selten in Studios nachgestellt wurden) und zu rassistischen Darstellungen unter dem Anschein der Objektivität, wovon die völkische und nationalsozialistisch geprägte Anthropologie, deren Spuren bis heute in naturhistorischen, ethnologischen und anthropologischen Museen und Sammlungen zu sehen sind, beredtes Beispiel geben.
Wie die Fotografie so prägt auch die Inszenierung anthropologischer Schauräumen und Ausstellungen das Bild, das sich der Besucher von (fremden) Menschen macht. Unrühmliche Bekanntheit erreichte in diesem Zusammenhang die 1978 eröffnete „Anthropologische Dauerausstellung“ im Naturhistorischen Museum (insbesondere der sog. „Rassensaal“), die nach internationaler Kritik (der britische Anthropologe Adam Kupfer verurteilte den Schauraum als Manifestation nazi-ähnlicher Rassenforschung) seit Ende der 1990er Jahre geschlossen wurde und ab 30.Jänner 2013 durch eine neu konzipierte Dauerausstellung unter dem Titel „Hominidenevolution“ ersetzt wird.
Mit der neu konzipierten Ausstellung soll auch der fundamentalen Verschiebung der anthropologischen Blickrichtung Rechnung getragen werden: Die Museumsbesucherinnen und -besucher sollen die Entstehung des Menschen nicht nur als historischen biologischen Prozess verstehen, sondern auch die kulturelle Entwicklung als bedeutende Komponente der Menschwerdung wahrnehmen.