(Suche nach Tags: z.B. <Highlight>)

Vorheriger Monat June 2012 Nächster Monat
So Mo Di Mi Do Fr Sa
          1 2
3 4 5 6 7 8 9
10 11 12 13 14 15 16
17 18 19 20 21 22 23
24 25 26 27 28 29 30
             


$kupoThemeUtils.getFormatedBlogPostDate($action.nextPost.creationDate)



$kupoThemeUtils.getFormatedBlogPostDate($action.previousPost.creationDate)


$kupoThemeUtils.getFormatedBlogPostDate($blog.creationDate) um $kupoThemeUtils.getFormatedBlogPostTime($blog.creationDate) von Kulturpool Redaktion

Copyright Albtraum

Anlass
Diskussion der EU-Richtlinie über die digitale Veröffentlichung "verwaister Werke"

Sogenannte "verwaiste Werke" wie Bücher, Fotos, Filme und Tonaufnahmen mit unbekanntem Rechteinhaber sollen künftig der Öffentlichkeit im Internet zugänglich sein. Vertreter des Europaparlaments, der EU-Staaten und der EU-Kommission haben eine entsprechende Einigung geschlossen, wonach Werke von öffentlichen Institutionen wie Bibliotheken und Museen digitalisiert und online gestellt werden dürfen. Rechtsausschuss und Plenum des Parlaments sowie der Ministerrat müssen die Einigung noch absegnen. Was von der Kommission als großer Wurf betrachtet und von Lobbyisten der Medien- und Unterhaltungsindustrie weiter massiv bekämpft wird, ist für die österreichische EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne) nichts weiter als eine verpasste Chance, „die in den Archiven verschollene Filme, Fotografie und Literatur seit der Zwischenkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts wieder der Allgemeinheit zugänglich zu machen." Denn der vergangene Woche geschlossene Kompromiss enthalte - so Lichtenberger in eine Anfrage von ORF.at - so viele Einschränkungen, dass es mehr als fraglich sei, ob die Richtlinie auch in der Praxis dazu führen wird, Verlorenes - durch Digitalisierung und Veröffentlichungen (auch im Internet) - wieder zugänglich und für Interessierte weiter nutzbar zu machen.

Albtraum eines Dokumentarfilmers. Ein fiktives, aber anschauliches Beispiel (c) Erich Moechel:

Ein Dokumentarfilmer arbeitet an einem Film über Attila Hörbiger. Bei seinen Recherchen stößt er auf ein interessantes 8-mm-Filmdokument, das authentischen Einblicke in Alltag und Lebensumstände des großen österreichischen Schauspielers gibt. Es handelt sich um Aufnahmen einer unbekannten Privatperson, die Anfang der 1960er Jahre ein Fest mit Freunden und Bekannten gefilmt und zu einer zehnminütigen Sequenz zusammengeschnitten hat. Neben dem längst verstorbenen Hörbiger sind in dieser Film auch ein paar unbekannte Künstler zu sehen, im Hintergrund spielt jemand am Piano, der aber nie ins Bild kommt. Mehrmals fällt diese Runde bei den Lied-Refrains mit ein, dann macht sich jemand über einen inzwischen in Vergessenheit geratenen Heimatdichter lustig, indem er ein Gedicht desselben mit russischem Akzent rezitiert. Eine Sequenz zeigt im Hintergrund auch einen Schwarzweißfernseher, auf dem 30 Sekunden lang Karl Valentin zu sehen ist. Wollte der Dokumentarfilmer diese Sequenz für seinen aus öffentlichen Mitteln finanzierten Film verwenden, dann müssten (weil deren Urheber unbekannt ist) nach geltendem Recht alle unbekannten Personen ebenso identifiziert und um Einverständnis gefragt werden, wie die Komponisten der gesungenen Lieder. Nicht zu vergessen der Heimatdichter und die Nachlassverwalter von Karl Valentin. Der Copyright-Albtraum wäre damit perfekt. Die Filmsequenz würde nicht verwendet und das einmalige Dokument nie das Licht der Öffentlichkeit erreichen.


Die EU-Richtlinie sollte vor allem den Weg für die Digitalisierung des umfangreichen Bild- und Tonmaterials frei machen, das bislang unzugänglich in filmhistorischen und anderen akademischen Instituten, Privatarchiven, Sammlungen und Bibliotheken lagert. Einen sehr großen Anteil davon machen dabei insbesondere die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender quer durch Europa aus, deren Bestände aufgrund des herrschenden Copyright-Regimes auch nach Verstreichen eines halben Jahrhunderts und mehr derzeit nicht veröffentlicht werden können. Und das, obwohl die Mehrheit Werke längst aus den Vermarktungszyklen gefallen sind und deren Lebenszeit - da auf analogen Material gespeichert - langsam abläuft.

Die Richtlinie sollte ermöglichen, Werke, deren Urheber nach einer „sorgfältigen Suche“ nicht aufzufinden sind, wieder zu publizieren. Die Gegner der Richtlinie verlangen dagegen, dass private Rechteverwerter sogar dann an einer solchen (digitalen) Wiederveröffentlichung beteiligt werden müssen, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie in irgendeinem Vertragsverhältnis zu den verschollenen Urhebern gestanden waren. Zudem läuft die nun - auf Druck der Lobbyisten - im Entwurf enthaltene Definition „verwaister Werke“ in der Praxis darauf hinaus, dass sie in der Regel doch nicht veröffentlicht werden können:

"Ein Werk oder Phonogramm wird dann als 'verwaistes Werk' betrachtet werden, wenn alle Rechteinhaber des Werks oder Phonogramms nicht identifiziert oder trotz sorgfältiger Suche nicht aufgefunden werden können" (Artikel 2, Absatz 1). Der Knackpunkt dabei ist das Wort "alle", denn in der Praxis sieht das - wie es Erich Moechel in einem Kommentar auf FM4@ORF.at anschaulich beschreibt - so aus: „Um in einer TV-Dokumentation verwaiste historische Bild- und Tonaufnahmen verwenden zu können, müssen nicht nur Herstellerfirma oder Regisseur ,sorgfältig‘ gesucht werden, sondern auch alle anderen daran Beteiligten. Im Fall, dass weder Auftraggeber, Produzent oder Regisseur gefunden werden können, muss nach jedem einzelnen Darsteller gesucht werden. Falls auch Musik zu hören ist, zusätzlich nach dem Komponisten und den Vortragskünstlern.“

Praktische bedeutet das, dass wohl kaum jemand eine derart aufwändige Suche nach unzähligen, meist Unbekannten veranstalten wird, wenn das Werk für den Massenmarkt nicht tauglich ist. Damit würden alle Werke, die nur für ein kleines Publikum interessant sind, weiter unzugänglich bleiben. Nicht ist nicht sicher, ob der "Kompromiss" zu den "verwaisten Werken" bei diesem Wortlaut bleibt. Der Richtlinienentwurf muss in den kommenden Tagen noch einmal durch die damit befassten Ausschüsse und dann im Juli 2012 vom Plenum der EU-Parlaments abgesegnet werden.

$kupoThemeUtils.getFormatedBlogPostDate($blog.creationDate) um $kupoThemeUtils.getFormatedBlogPostTime($blog.creationDate) von Kulturpool Redaktion

Zurueck zur Natur?

Anlass
Jean Jacques Rousseaus 300.Geburtstag

Er zählt bis heute zu den umstrittensten Denkern Europas. Vom Volk verehrt (das bei Neuerscheinungen seiner Werke Schlange stand, um ein Exemplar zu ergattern), von den Behörden zensiert, von vielen zeitgenössischen Denkern ebenso bewundert wie verachtet, führte Jean Jacques Rousseau (1712-1778) ein „wildes Leben“, das mit dem Werk, das er hervorgebracht hat - in all seinen Widersprüchen - untrennbar verbunden ist.

Jean Jacques Rousseau blickt kurz vor seinem Tod in den Garten von Ermenonville

Auch noch 300 Jahre nach seinem Geburtstag erweist sich Rousseaus Gesellschaftskritik von hoher Aktualität. Bei einer großen Gruppe von Menschen sind die Wissenschaftsgläubigkeit und der Rationalismus der späten Industriegesellschaft heftig in die Kritik geraten, und bei der Suche nach Alternativen ist immer wieder von der Natur die Rede, die Rousseau zum Ausgangspunkt seines Denkens gemacht hat. Sein Naturbegriff und sein Bild vom „Naturmenschen“ ist dabei bis heute umstritten. Schon Voltaire machte sich darüber lustig; „Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen, als Sie“, schrieb er, nachdem er den contrat social gelesen hatte, an Rousseau: „Das Lesen Ihres Buches erweckt in einem das Bedürfnis, auf allen vieren herumzulaufen. Da ich jedoch diese Beschäftigung vor einigen sechzig Jahren aufgegeben haben, fühle ich mich unglücklicherweise, nicht in der Lage, sie wieder aufzunehmen.“

Rousseau aber wollte - so seine Verteidiger - nicht „zurück zur Natur“ (wie es in einem geflügelten, ihm zugeschriebenen Zitat heißt, das jedoch in dieser Form in keiner seiner Schriften zu finden ist), sondern benutzte den imaginären „Naturzustand“ (des Menschen) nur als bewusste Utopie, die er der fortschrittsgläubigen, aber ungerechten Gesellschaft am Vorabend der französischen Revolution (1789 - 1799) entgegen hielt. Seine reformerischen Ideen konzentrieren sich darauf, Menschen zu autonomen Individuen und guten Citoyens zu erziehen. Anders als Voltaire, der in Vernunft und Ratio den Schlüssel zur Aufklärung und zur Befreiung des Menschen aus der Unmündigkeit sah, betonte Rousseau das Gefühl als wichtiges Korrektiv einer rationalen Vernunft, die - wie Horkheimer und Adorno ein Viertel Jahrtausend später in der Dialektik der Aufklärung zeigten - immer wieder in ihr Gegenteil umzuschlagen droht. Wer Natur nicht spürt, wer das Natürliche nicht fühlt, wer sich rein auf Vernunft verlässt, der macht nach Rousseau das Geschäft der Erkenntnis nur zur Hälfte. Die Utopie einer heilen Natur mit Menschen „edler Gesinnung“ hatte für ihn dabei die Funktion einer moralischen Norm, an der man sich zu orientieren hat; doch setzt Erziehung zugleich auf die Fähigkeiten des Menschen, sich zu vervollkommnen, also sich zu verändern und damit zwangsläufig vom Naturzustand zu entfernen.

Jean Jacques Rousseau als Armenier verkleidet (linkes und rechtes Bild), im Portrait und mit dem Sarkophag zu seinen Ehren in Ermenonville

Rousseaus Werke - vor allem der große Erziehungsroman Emile, der umfangreichen Briefroman Julie oder Die neue Heloise und seine staatsrechtliche Abhandlung Vom Gesellschaftsvertrag (Du contrat social) - werden daher bis heute als Quellen für verschiedene aktuelle Fragen herangezogen: Von der Pädagogik bis zur Ökologie, von Geopolitik, Pazifismus und Globalisierungskritik bis zur direkten Demokratie. Dabei wird, in einer Zeit, in der demokratische Tugenden wie Bürgersinn bedroht sind, besonders seine Fähigkeit, „nein“ zu sagen, geschätzt. Dazu war er mit einer Konsequenz in der Lage, die ihn weder das Zerbrechen von Freundschaften, noch Schmerzen oder Verfolgung fürchten ließ und ihn vielleicht auch deshalb schon zu Lebzeiten zu einem - wie wir heute sagen würden - „Star“ gemacht hat.

Rousseaus Verhältnis zur Öffentlichkeit war außergewöhnlich. Er polarisierte durch sein Auftreten (etwa wenn er sich als Armenier verkleidete oder die Kleidersitten bei Empfängen völlig missachtete) ebenso wie durch sein Schreiben, das sich - ungewöhnlich für seine Zeit - immer auch um seine eigenen Person drehte, seine Erfahrungen und seine ebenso ungewöhnlich kritische Selbstreflexion. Genau darin offenbart sich aus heutiger Sicht Rousseaus Modernität: Sein Werk wirft bereits ein deutliches Licht auf ein im 18. Jahrhundert noch recht unbekanntes Phänomen: die Freiheit des Individuums.

Es erscheint wie eine Ironie des Schicksals, dass einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Individualität sein Leben als gebrochenen Mann, vereinsamt, verzagt und paranoid beendet. Ausgerechnet mit Blick auf jenen seltsamen Park in Ermenonville, 50 Kilometer nördlich von Paris, den einer seiner größten Bewunderer, der Marquis René Louis de Girardin, ganz nach den Vorstellungen seines Idols errichten ließ: als künstliche Wildnis, als simulierte Ursprünglichkeit, die es dem Besucher ermöglichen soll, durch die Erfahrung der äußeren Natur seinen inneren Naturzustand wiederzuerkennen.

Heute trägt der 60 Hektar große jardin philosophique, der am 28.Juni 2012 - zum 300.Geburtstag des großen romantischen Aufklärers - erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, den Namen „Parc Jean Jacques Rousseau“. An dessen Eingang war und ist bis heute auf einer Steintafel zu lesen: „An diesem wilden Ort werden alle Menschen Freunde und alle Sprachen akzeptiert.“