Tatort Internet
![]() | Anlass Die Debatte ums Urheberrecht |
Der Umgang mit dem (digitalen) kulturellen Erbe ist von zentraler Bedeutung für zukünftige Strategien in der Informationsgesellschaft. Als ein wichtiger Punkt gilt dabei der übergreifende Zugang zu den digitalisierten Beständen von Museen, Bibliotheken und Archiven. Portale wie Kulturpool bietet interessierten Bürgern einen zentralen Zugang zu digitalen (österreichischen) Kultur-Ressourcen. Freilich beschränkt sich der Zugang zu Kulturgütern im Internet längst nicht mehr nur auf (museale) Werke, die nach geltendem Urheberrecht gemeinfrei sind, das heißt keinem Urheberrechtsschutz mehr unterliegen und von jedermann frei benutzbar sind; das ist in der Regel 70 Jahre nach dem Tod des jeweiligen Urhebers der Fall.
Jeder kann Urheber sein
Plötzlich wurde der Begriff „Urheberrecht“ zum Reizwort, an dem sich eine immer lauter und schriller werdende Debatte entzündete, die derzeit die deutschsprachigen Feuilletons beherscht. An der Frage ob und wie das Urheberrecht angesichts der technischen Entwicklung reformiert werden müsste, scheiden sich die - zutiefst zerstrittenen - Geister: Auf der einen Seite jene, die fordern, dass sämtliche Inhalte im Netz für jedermann frei verfügbar sein sollten. Auf der anderen Seite die Künstler (Autoren, Komponisten, Filmemacher) und ihre Verleger und Agenten, die nicht nur um die Einnahmen aus ihrer Arbeit fürchten, wenn ihre Werke im Netz frei (und häufig unentgeltlich) verfügbar sind, sondern auch eine „geistige Enteignung“ beklagen, wenn jeder mit ihren Werken tun und lassen kann, was er will.
Für beide Seiten geht es - wie Maximilian Probst und Kilian Trotier in der „Zeit“ vom 15.3.2012 argumentiert haben - ums Ganze: „Wie hältst du’s mit dem Urheberrecht? Das ist die Gretchenfrage unseres kognitiven Kapitalismus, in dem Reichtum zunehmend über immaterielle Güter wie Wissen und Codes produziert wird – womit das Konzept des geistigen Eigentums entscheidet, wer daran partizipiert. Oder, um es noch grundlegender zu formulieren: Wir sind im Internetzeitalter damit konfrontiert, den Begriff des Teilens neu zu denken. Teilen im Sinne von Mitteilen und Teilhaben kennzeichnet die Produktion und Konsumtion immaterieller Güter. Und der in diesem Prozess geschaffene Reichtum wirft die Frage auf, wie er verteilt werden soll.
Mit der Idee des Teilens hat das Urheberrecht aber heute Schwierigkeiten. Besonders deutlich wird das im Bereich der Kunst, in dem die Praxis, Teile fremder Werke für ein eigenes zu verwenden, weit verbreitet ist. Dabei geht es keineswegs nur um die Untiefen des Internets und seine Copy-and-paste-Kultur, um Remixe, Mashups oder das vom Hip-Hop geschätzte Sampling. Es geht auch darum, dass es nach geltendem Urheberrecht auch die Pop-Art eines Andy Warhol nicht hätte geben sollen, nicht van Goghs Arbeiten nach dem japanischen Holzschnittmeister Hiroshige, ganz zu schweigen von Bachs brandenburgischer Adaption der Violinkonzerte Vivaldis.
Der freie Umgang mit der Kunst der anderen wurde in dem Zuge eingeschränkt, in dem die Gesetzgeber das Urheberrecht verschärften: Für 21 Jahre besaß ein Künstler im England des 18. Jahrhunderts die Rechte an seinem Werk, für weitere 14 Jahre besaß er sie auf Druck und Veräußerung. Heute ist das Urheberrecht in Europa ein automatisch garantiertes Recht, das bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers gilt – egal, ob es ein privates Foto auf Flickr oder einen Hollywood-Blockbuster schützt.
Kurze Geschichte des Urheberrechts
Will man verstehen, wieso das Urheberrecht mit dieser Entwicklung nicht Schritt hält, muss man einen Blick auf seine Geschichte werfen. Zuerst auf die langen Jahrhunderte, die ohne Autorenrechte auskamen: Von der Antike übers christliche Mittelalter bis hin zum Barock war der Künstler Teil einer Gemeinde, deren Selbstverständnis er in seinen Werken ausdrückte und die im Gegenzug sein Auskommen sicherte. Die Polis, die Kirche, der fürstliche Hof finanzierten die Kunst. Diese Welt zerbricht mit der großen bürgerlichen Modernisierungs- und Individualisierungsphase um 1800. Der Künstler verliert seine quasi-naturwüchsige Gemeinde und muss sich nun selbst eine schaffen. Positiv gewendet heißt das: Er machte sich frei von der Überlieferung und von den geschmacklichen Fesseln feudalen Mäzenatentums. Das ist die Geburt des Autonomiegedankens in der Kunst: Der Künstler schafft sein Werk nicht mehr nach der alten Regelpoetik, sondern nach den inneren Maßgaben der von Kant fixierten Genieästhetik. Als Schöpfung ganz aus sich selbst oder besser noch: aus dem Nichts. Zugleich ist es die Geburtsstunde der Kunst als Ware, denn nun muss der freie Markt den Künstler ernähren. In dieser Situation verhießen garantierte Eigentumsrechte den Künstlern und Verlegern eine Lösung. In unserer digitalen Kopiergesellschaft stellt sich allerdings die Frage, ob das Urheberrecht diese Aufgabe noch erfüllen kann. Denn das Internet ist die vollendete Reproduktionsmaschinerie: Alles, was ins Netz eingespeist wird, ist mit ein paar Klicks zu haben, nicht selten kostenlos.“
Eine Lösung für die damit auftretenden Probleme, auch in Form eines Kompromisses (wofür es zahlreiche Vorschläge gibt, von einer „Kulturflatrate“ bis zu komplexeren Modellen wie sie etwa Philippe Aigrain unter dem Begriff „Creative Contribution“ vorgestellt hat), scheint momentan nicht absehbar. Gewiss ist nur soviel, dass der Ausgang der aktuellen Diskussion - die vor allem im deutschen Feuilleton nicht abzureißen scheint - nicht nur die Zukunft der Kultur, sondern auch die eines offenen Internets beeinflussen wird.